Freitag, 15. Februar 2019

Mein Vorhof zur Hölle heißt Vorklinik


Mir war schon vor dem Studium klar, dass die ersten zwei Jahre kein Zuckerschlecken werden würden. Um das zu erfahren, muss man sich nicht mal sehr intensiv mit dem Thema beschäftigen. Es ist einfach eine Tatsache, der man immer und immer wieder begegnet. Und doch ist man am Ende wirklich überrascht, wie es wirklich ist.
Ich studiere in einem nicht-reformierten Studiengang, das heißt, die Vorklinik ist genau das, was der Name impliziert: alles außer klinisch. Im Regelfall dauert sie 4 Semester, also 2 Jahre, und wird mit dem Physikum abgeschlossen.
Inzwischen ist die Vielfalt an reformierten Studiengänge so groß, dass ich keinerlei Überblick mehr habe, weshalb werde ich das einfach mal außen vor lassen.
Zurück zum Text: 4 Semester Vorklinik, das heißt vor allem: Naturwissenschaften und Anatomie pauken, bis es einem zu den Ohren wieder heraus kommt.
Ja, das wusste ich vorher. Und ja, ich habe mich trotzdem darauf eingelassen. Im Nachhinein weiß ich nicht, ob ich mich noch einmal darauf einlassen würde. Denn die letzten 3 Semester waren alles außer spaßig.

Aber ich will vorne beginnen. Ganz am Anfang, im 1. Semester, war die Welt noch in Ordnung. Der Himmel hing voller Geigen, denn – verdammt nochmal, ich hatte einen Medizinstudienplatz im allerersten Anlauf an der einzigen Uni, an der ich mich beworben hatte! Wenn das nicht die Erfüllung aller Träume ist, dann weiß ich auch nicht. Es ging los mit Biologie, Physik und Chemie. Außerdem lauerte die Anatomie auf uns, zu Beginn ganz unschuldig und übersichtlich. So ein paar Knochen, na das lernt man doch schnell mal nebenbei – oder?
Die erste Klausur in diesem Studium, kurz vor Weihnachten, brachte dann für viele doch das böse Erwachen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich das im 1. Anlauf bestanden habe, aber sei es drum und ein bisschen Glück braucht man eben auch.
Was für uns alle aber eine riesige Belastung war, war das Chemiepraktikum. Nicht nur, dass man jede Woche bis nach 19 Uhr im Labor stand, man musste vorher auch noch ein Antestat bestehen und natürlich den Stoff, der viel weiter ging als irgendeine Vorlesung, auch noch verstehen. Abgesehen davon mussten wir für die Experimente einmal quer durch die Stadt an den Hauptcampus fahren, wodurch montags die Mittagspause ausfiel. Im Nachhinein ist das wohl die Vorbereitung auf die Arbeit in der Klinik gewesen…
Am Ende, im Februar standen dann noch Klausuren in Biologie, Chemie und nach 4 Wochen Praktikum auch noch in Physik an. Na ja, sagen wir so: Ich war in der Schule im Bioleistungskurs, deshalb war diese Prüfung keine große Hürde. Die anderen beiden… Ich mochte sie so gerne, dass ich sie glatt mehrfach schreiben wollte… Aber damit war ich nicht allein! 
Nebenbei sollte man außerdem noch Histologie lernen, um dort im praktischen Mikroskopieren verschiedene Gewebe erkennen zu können. Aber auch das hat man irgendwie geschafft, wenn auch in mehreren Anläufen.

Dann folgte das 2. Semester, oder auch mein persönlicher Abstieg in die Hölle. Ja, der Präparierkurs war wirklich großartig, abgesehen davon, dass die Uni es nicht geschafft hatte, für unseren Tisch einen Tutor zu besorgen. Zum Glück waren wir mit einem begabten Kommilitonen gesegnet, der uns das meiste erklärte und auch die Tutoren der Nachbartische versuchten, uns so gut es ging beizustehen. Ich weiß nicht, ob es daran lag oder schlicht und ergreifend daran, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich in so kurzer Zeit so viel Stoff in meinen Kopf prügeln sollte. Also kam, wie es kommen musste: Ich hüpfte von einer Wiederholung in die nächste, manchmal war es wirklich mehr als knapp und ich bin der Überzeugung, dass ich den ein oder andern Punkt aus Mitleid bekommen habe.  
Sozusagen nebenbei galt es dann, Interesse für Biologie und Histologie aufzubringen, was nicht wirklich einfach war. Das einzige, was mir in diesem Semester vorbehaltlos Spaß gemacht hat, war Psychologie. Endlich gab es klinische Bezüge und auch Professoren, denen klar war, warum wir im Hörsaal saßen: um irgendwann einmal mit Menschen zu arbeiten und nicht, um Bücher stapelweise auswendig zu lernen. Es war eine erfrischende Abwechslung und noch dazu sehr spannend, kein Wunder also, das die Prüfung hier leicht von der Hand ging.
Doch mein großes Problem blieb: Anatomie. Irgendwie konnte ich mich immer retten. Na ja, bis dann das Kopf-Hals-Testat anstand. Ich hatte keinerlei Plan von diesem Thema und so kam es, wie es kommen musste: ich rutschte kopfüber (haha) in den Drittversuch. Das heißt an meiner Uni: letzte Chance, wenn man hier durchfällt, ist es endgültig vorbei, dann ist man deutschlandweit gesperrt für den Studiengang.
Zum eigentlichen Termin hatte mich dann eine fiese Erkältung erwischt, wahrscheinlich hatte ich mir das beim Praktikum auf der Kinderstation eingefangen. Zum Glück hat auch mein Arzt eingesehen, dass man beim letzten Versuch 100% fit sein sollte und schrieb mich krank. Und so stehe ich jetzt hier, kurz vor dem 4. Semester und muss meinen Drittversuch als letzte Prüfung vor dem Physikum irgendwie bestehen. Keine besonders tollen Aussichten.
Insgesamt war das 2. Semester für uns alle purer Stress, einige Kommilitonen warfen freiwillig das Handtuch. Gerade auch, weil unsere Professoren nicht unbedingt allen Studenten freundlich gesinnt waren und einem diese Abneigung auch gerne zeigten. Zusätzlich zu dem allgemeinen Lernstress führte das dazu, dass einige psychisch vollkommen am Ende waren.
Und ja, auch mir ging es in dieser Zeit öfter mal nicht ganz gut. Der ein oder andere Heulkrampf war definitiv dabei. Zum Glück habe ich ein tolles Umfeld, das mich immer wieder aufgebaut hat. Trotzdem bin ich einfach nur froh, dass dieses Semester hinter mir liegt. In dieser Zeit habe ich mich mehr als einmal gefragt: Warum zur Hölle tue ich mir das an? Wofür das Ganze?
Erst im Praktikum auf der Kinderstation habe ich wieder Licht am Ende des Tunnels gesehen und gemerkt: ich brenne für dieses Fach und für das, was ich später erreichen kann. Nun gilt es aber erst einmal, sich durchzukämpfen.

Im 3. Semester fühlt man sich schon fast wie ein alter Hase, obwohl man gerade erst den Babyschuhen entwachsen ist. Sobald man nicht mehr die zur jüngsten Studentengeneration gehört, ist man „cool“. Wir sind zwar immer noch grün hinter den Ohren, aber was solls, ein bisschen Aufwind ist nie verkehrt, gerade in so einem Studium.
Es warteten neue Fächer, mit Biochemie und Physiologie auf uns, genau so wie alte Bekannte mit Anatomie und Psychologie.
Wieder sehe ich Psycho als meinen rettenden Anker, der mich aus dem Sumpf des stupiden Auswendiglernens heraus zog und mit klinischen Fällen die Motivation hoch hielt.
Neuroanatomie war immerhin spannend, aber wieder einmal mit viel Auswendiglernen verbunden. Irgendwie haben wir es aber geschafft und konnten und nach Weihnachten auf die anderen Fächer konzentrieren.
Physiologie und Biochemie sind an sich sehr interessant und in großen Teilen auch logisch – wenn man das nötige Grundverständnis mitbringt. Mein Problem ist, dass Chemie und ich wohl nie enge Freunde werden, was die Sache nicht einfacher macht. Und auch in Physio fehlt mir teilweise einfach der Blick für die Zusammenhänge.

Insgesamt hört man sehr häufig, die Vorklinik sei vorrangig zum „Aussortieren“ der Studenten und den Großteil könne man nach dem Physikum wieder vergessen. Was natürlich für mich, im 3. Semester, nicht unbedingt motivierend ist. Deshalb versuche ich, mir zu sagen, dass ich die Grundlagen können muss, um am Ende kranke Menschen behandeln zu können. Aber das ist nicht immer einfach, vor allem, wenn man gerade den 7. Reaktionsschritt der Glykolyse zu verstehen versucht (es ist die Reaktion von 1,3-Biphosphoglycerat zu 3-Phosphoglycerat, falls es jemanden interessiert) und keinen blassen Schimmer hat, wie einem die Reaktionsgleichungen später mal helfen sollen, einen Blinddarm zu entfernen oder ähnliches. Aber ich versuche, das Beste daraus zu machen.
Trotzdem kommt nicht nur ein bisschen Neid auf, wenn man von anderen Unis hört, an denen vom 1. Tag an Patientenkontakt da ist und man sofort die klinischen Bezüge herstellen kann. Aber ich bin nun mal hier gelandet und versuche nun, diese Zeit hinter mich zu bringen, so blöd es jetzt auch klingen mag. Gerade jetzt im Sommer, wo nur noch Biochemie und Physiologie auf dem Plan steht, neben Anatomieseminaren, die die Physikumsprüfung simulieren sollen. Allein der Gedanke daran bereitet mir schlaflose Nächte. Es wird kein Spaß.

Aber ich habe mir fest vorgenommen, bis zum Ende zu kämpfen. Ich mache inzwischen jeden einzelnen Tag, auch in den Semesterferien, etwas für die Uni, ob es Ausarbeitungen oder Wiederholungen sind. Nur so habe ich die Chance, das zu schaffen. Und das ist alles, was gerade im Fokus steht.
Aber wenn man den Kommilitonen der höheren Semestern glaubt, dann ist da zumindest schon ein Silberstreifen am Horizont: Die Klinik ruft, auf ins 4. Semester!