Montag, 28. Januar 2019

Ich nix Krankenschwester - Pflegepraktikum Teil 1


Irgendwann im Laufe der Zeit wird jeder, der sich für ein Medizinstudium interessiert, auf den Begriff „Krankenpflegepraktikum“ oder „Pflegepraktikum“ stoßen. Bei den meisten Bewerbern sorgt vor allem der geforderte Zeitraum von 90 Tagen, die vor dem Physikum abgeleistet werden müssen, für Schweißausbrüche.
An dieser Stelle kann ich beruhigen: Es sieht (meistens) schlimmer aus, als es ist.
Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich diese drei Monate bereits hinter mich gebracht. Dabei habe ich mich an die weitverbreitete Empfehlung gehalten, dies zumindest teilweise schon vor Studienbeginn zu absolvieren. Hier in Sachsen ist es erlaubt, das Praktikum in maximal 3 Teile mit je mindestens 30 Tagen aufzuspalten. Informiert euch hierzu aber auf jeden Fall bei eurem zuständigen Landesprüfungsamt, wie die Gegebenheiten im Bundesland eurer Wahl sind, damit ihr keine bösen Überraschungen erlebt!

Im Folgenden möchte ich euch an einigen Erfahrungen meinerseits teilhaben lassen. Alle Angaben zu Personen, Schicksalen usw. sind dabei verändert, entsprechen aber wahren Begebenheiten.

Kurz nach dem Abitur und nach erfolgreicher Wohnungssuche in der Stadt meiner Träume war es soweit. Zum ersten Mal trat ich den Weg in ein örtliches kleines Krankenhaus an, welches als Teil einer großen privaten Klinikkette prädestiniert für mein Pflegepraktikum war. Dabei verließ ich mich vor allem auf die grandiosen Versprechungen auf der Internetseite der Klinik und auf die durchweg positiven Erfahrungen meines Schwagers in spe, der dort sein Klinikpraktikum für den Rettungsdienst absolvierte.
Also stand ich dort, in meinen nagelneuen weißen Turnschuhen und wusste nicht wohin mit mir. Zum Glück erschien zeitnah die wirklich nette Personalleiterin, die mich sofort mit allen notwendigen Informationen versorgte und mich gemeinsam mit einer Schülerpraktikantin durchs Haus führte. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich mich noch am ersten Tag das Erste und Letzte Mal verlaufen habe, als ich meinen Spind suchte…
Am Ende der Tour wurden wir auf unsere Station geführt: Für die nächsten 60 Tage würde ich Teil des Pflegeteams auf Station 4 sein. Dort ist zum einen die Innere untergebracht. Aber auch die Palliativstation ist dort zu finden. Im ersten Moment war dies ein wenig seltsam, bedeutet es doch ständigen Kontakt mit sterbenden Menschen. Aber dazu in einem anderen Post mehr.
Die ersten Tage waren geprägt vom ständigen Nachfragen nach Orten, Namen und ähnlichem. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, da ich in einem sehr hilfsbereiten und dankbaren Team gelandet war. Keine Frage konnte sie nerven. An dieser Stelle kann ich nur alle ermutigen: Fragt nach, lasst euch Sachen auch drei- oder viermal erklären. Es ist nur zu eurem Vorteil und die meisten Krankenschwestern und -pfleger können sich noch gut an ihre eigene Anfangszeit erinnern und werden euch liebend gerne helfen. Nur solltet ihr ein Gefühl dafür entwickeln, wann man sich vielleicht lieber zurück hält. Wenn mal richtig die Luft brennt, haltet eure Frage nach den physiologischen Zusammenhängen, oder was euch sonst grade einfällt, lieber bei euch. Später bleibt dafür bestimmt noch Zeit.

Natürlich ist man als Pflegepraktikant, gerade vor dem Studium, Mädchen für alles. Ich war vor allem damit beschäftigt, Essenswägen zu holen, auf die Ordnung zu achten und nachmittags die Blutdrücke der Patienten zu messen. Nach und nach erweiterte sich mein Aufgabenbereich jedoch. Gerade wenn keine anderen Praktikanten auf Station waren, durfte ich Infusionen anrichten und wechseln, Patienten waschen und beim Lagern der Pflegefälle helfen.
Das führt zum nächsten Thema: Vor allem auf der Inneren kommt man in Kontakt mit jeglicher Art von menschlichen Ausscheidungen. Egal ob vorne, hinten, oben oder unten – manchmal kommt es überall gleichzeitig raus. Klingt makaber, aber man gewöhnt sich dran! Vor allem am Anfang hatte auch ich teils mit Würgereiz zu kämpfen, aber die Kollegen haben dafür Verständnis, keine Sorge! Jeder hat mal angefangen und jeder muss sich an so etwas erstmal gewöhnen. Wichtig ist es nur, nicht von vornherein ablehnend zu reagieren. Es wird besser, versprochen! Aber Lehrjahre sind keine Herrenjahre und irgendjemand muss halt auch die unbeliebten Arbeiten übernehmen. Das gehört dazu und falsche Arroganz ala "Ich werde ja eh Arzt!" ist hier absolut fehl am Platz. Ihr seid nun mal das unterste Glied der Nahrungskette und diese Erfahrung ist auch mehr als wertvoll.

Auch Blut ist ein alltäglicher Begleiter auf Station. Und damit meine ich nicht die Röhrchen, die man als Praktikant tagtäglich ins Labor bringen darf!
Ich erinnere mich dabei an folgende Begebenheit: Es war gerade die Visite nach dem Mittagessen durch, alle Patienten waren mit frischen Infusionen versorgt. Ich war dabei, die Essenstabletts abzuräumen und ein wenig mit den Patienten zu schäkern, als aus einem Raum laute Rufe ertönten und die Klingel aufleuchtete.
Bevor ich mich auf den Weg machen konnte, kam mir eine Zimmerbewohnerin aufgeregt entgegengelaufen und erzählte etwas von einer Blutlache. Natürlich schrillten bei mir sofort die Alarmglocken und ich machte mich eilig auf den Weg. Schon im Türrahmen sah ich das Unglück: Eine ältere Patientin hatte sich beim Umziehen selbst die Infusionsnadel gezogen. Das Problem dabei war, dass die Infusion aber noch lief. Da sie außerdem eine von vielen Patienten war, die blutverdünnende Mittel nehmen, stand sie bald in einem See aus Infusionsflüssigkeit und Blut.
Sowas sieht natürlich im ersten Moment schrecklich aus, ist aber halb so wild. Wichtig ist es nur, die Infusion abzudrehen und Tupfer oder einen Einmalwaschlappen zu besorgen, um die Blutung aufzuhalten. Um den Boden kümmert sich das Reinigungsteam (oder man selbst, wenn man nett ist), der zuständige Arzt legt eine neue Nadel und schon ist es, als wäre nie was passiert.

Natürlich ist nicht alles einfach und schon gar nicht immer schön. Manchmal fühlte ich mich wie der letzte Depp vom Dienst, weil ich beinah allein alle vier Flure abräumen und nebenbei noch tausend andere Dinge erledigen durfte. Die Beschwerden der Küchenfrauen ob der späten Abgabe der Essenswagen gabs gratis dazu. An einigen Tagen schaute ich beinah alle zehn Minuten auf die Uhr, wann denn endlich Feierabend wäre, damit ich daheim todmüde in mein Bett fallen konnte.
An manchen Tagen hätte ich sowohl Patienten als auch Kollegen gerne auf den Mond geschossen.
Aber das war es wert!
Denn dies wurde überlagert von so vielen tollen und einzigartigen Momenten.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir folgende Geschichte: Wir hatten eine Patientin auf Station bekommen – erst einmal nichts Besonderes. Die Dame zählte schon weit über 90 Jahre und war überaus unzufrieden mit ihrer Situation. Ständig gab es etwas auszusetzen und nichts konnte man ihr Recht machen. Gerade mir, als kleiner Praktikantin, schlug ihr volles Misstrauen entgegen.
Deshalb war ich nicht gerade begeistert, als ich bei ihr das Betttuch wechseln sollte, während die Physios im Raum waren.
Doch dann wurde ich auf einmal um Hilfe gebeten: Ich sollte ihr mit aufhelfen. Natürlich unter Protest ihrerseits, hatte sie doch zuvor nicht einmal an der Bettkante sitzen und essen können. Aber auf einmal stand sie auf ihren Beinen! Sogar ein paar Schritte konnte sie gehen.
Anschließend saß sie auf dem frischen Laken, blickte die Physiotherapeutin und mich an, Tränen in ihren Augen: „Das war das erste Mal seit 8 Jahren, das ich auf meinen eigenen Beinen stand! Ich danke Ihnen!“ Dabei fiel sie immer wieder in Dankgebete. Es war einfach ein unbeschreiblich ergreifender Moment, diese alte Dame so überwältigt von ihrer eigenen Kraft zu sehen.

Momente wie diese sind es, die mich in meinem Berufswunsch bestärken. Ich habe einige ähnlicher Situationen im Praktikum erlebt. Und das hat all die anstrengenden Tage wieder wettgemacht. Einen Patienten zu sehen, der sich nach langer Krankheit wieder selbst waschen und rasieren kann. Familien erleben zu dürfen, die nach Wochen der Krankenbesuche wieder gemeinsam lachen können. So etwas ist es, was man gerade als Praktikant erlebt, da man etwas mehr Zeit in den Patientenkontakt investieren kann, als das Krankenhauspersonal.
Aus diesem Grund kann ich nur empfehlen: Seht das Pflegepraktikum nicht als lästige Pflicht! Es ist nur ein weiterer Schritt in Richtung der Erfüllung eures Traumes und ihr werdet vor allem an Erfahrungen reicher, die euch noch lange begleiten werden.
Vor allem hat die Zeit auch meinen Respekt vor allen Pflegekräften verzehnfacht. Ihr leistet phänomenale Arbeit! Tausend Dank für euren Einsatz und lasst euch nicht unterkriegen von Politikern, die alles besser wissen, aber nie auch nur einen Tag in solch einem Job gearbeitet haben. Ohne euch, die guten Seelen, wären wir richtig am A****.

In einem der folgenden Beiträge werde ich noch einmal näher auf die Arbeit auf der Palliativstation eingehen. Wenn ihr Fragen dazu habt, stellt sie gerne!
Auch über eure Erfahrungen und Meinungen freue ich mich.

Liebe Grüße,
Kaisa

Dienstag, 22. Januar 2019

Versagensangst und Druck


Versagensangst. Etwas, was ich vor meinem Studium nur vom Wort her kannte. Einen wirklichen Bezug dazu hatte ich aber nie.
Na ja, zumindest bis jetzt.

In der Schule war es so einfach: Ich musste kaum lernen, war Teil von so gut wie allen Arbeitsgemeinschaften und sonstigen außerschulischen Aktivitäten, immer ganz vorn dabei. Vermutlich habe ich bei der Abifeier einen Rekord darin aufgestellt, wie oft ein einzelner Name genannt werden kann.
Auch im Freundeskreis gab es so gut wie niemanden, der irgendwie Angst haben musste, das Abi nicht zu schaffen. Klar, ab und hakt es hier und da, aber am Ende konnte im Zweifel auch ein Schulwechsel helfen et voila, da war das Super-Abitur.
Alles ganz entspannt also. Tja, und dann kam die Uni.

Es fing ganz unschuldig an, der Stoff lag nur minimal oberhalb des Niveaus der Oberstufe. Nur Anatomie fiel da etwas heraus, aber ein paar Knochen auswendig lernen, das schafft man dann schon mal nebenbei. Und so plätscherte das erste Semester so vor sich hin. Zwar musste ich mehr lernen als vorher (oder überhaupt), aber es bewegte sich im kleinen Rahmen, im Zweifel reichte eine Woche Vorbereitung voll und ganz aus.
Bis, so gegen Semesterende, mit Physik das erste Mal nach einer Prüfung das „nicht bestanden“ auftauchte. Und ab dann ging es bergab.
Im zweiten Semester nahm ich fast alles an Wiederholungen mit, was nur ging. Und jetzt, ja jetzt ist da dieser drohende Drittversuch, der am Horizont wartet. Die letzte Prüfung vor dem Physikum könnte alles beenden.
Erstaunlicherweise haben mich diese Wiederholungen nie so wirklich belastet, vor allem am Anfang fand ich das mehr als erstaunlich. Schließlich war es etwas ganz Neues, irgendwo durchzufallen, also zu scheitern. Etwas, was mir in meinem bisherigen Leben nie begegnet war.

Ich bin Einzelkind und wurde bzw. werde stets von meiner ganzen Familie umsorgt. Ich bin wirklich wahnsinnig dankbar dafür. Vor allem, da auch jetzt, wo es ein wenig auf der Kippe steht, ob das mit dem Studium am Ende hinhaut, keinerlei Forderungen gestellt werden. Klar, es wird nach einem Plan B gefragt und ja, natürlich wünschen sich alle, dass es doch noch funktioniert. Aber am Ende würde ich vermutlich keinerlei Vorwürfe zu hören bekommen. Meine Leute stehen hinter mir und das ist einfach wahnsinnig großartig.

Trotzdem will ich auf gar keinen Fall jemanden enttäuschen, nicht meine Freunde, auf gar keinen Fall die Familie und auch nicht mich selbst. Denn am Ende habe ich ja auch einen gewissen Anspruch an mich, auch, wenn es nicht unbedingt die Bestnote in der Prüfung sein muss. Aber es würde mich richtig fertig machen, wenn ich endgültig durchfalle. Dann kann ich nie wieder in Deutschland Medizin studieren, der Traum vom Arzt sein wäre geplatzt.
Natürlich habe ich (nicht nur einen) Plan B. Wahrscheinlich würde ich auch damit am Schluss glücklich sein und es würde mich auch erfüllen. Aber es wäre trotz allem nur der Plan B.

Ich kann diese innere Stimme nicht ausschalten, die mir immer wieder einflüstert, dass ich scheitern werde. So was gehört denke ich auch dazu. Und an manchen Tagen, wenn sowieso alles schief läuft und man sich einfach nur im Bett verkriechen will, da wird diese Stimme lauter. Und dann fängt man wirklich an, an sich zu zweifeln. Nicht nur einmal habe ich mit dem Gedanken gespielt, doch alles hin zu schmeißen. Besser, als rauszufliegen. Besser, als sich das eigene Scheitern vor Augen führen zu müssen.
Dann kommt die Angst dazu: Was wird aus den Freundschaften, die man an der Uni geschlossen hat? Ich will das nicht aufgeben.
Was wird aus den ganzen Zukunftsplänen, die man geschmiedet hat? Ich habe so unendlich vielen Leuten erzählt, dass ich Landarzt werden möchte. So viele, die sich darauf freuen, mich dann wiederzusehen. So viele, die sich darauf verlassen, dass das funktioniert. Was würden sie von mir denken, wo ich doch immer erfolgreich mit meinen Plänen war?

Ich weiß, dass diese Gedanken Mist sind. Aber ab und an schleichen sie sich einfach an und erschrecken einen von hinten. Dann kann man sich nicht immer wehren und manchmal hilft es dann nur, sich mit einer heißen Schokolade im Bett zu verkriechen, eine Runde haltlos zu heulen und sich hinterher vom Schatz trösten zu lassen. Danach geht es besser.
Und inzwischen überwiegen auch die Momente, in denen ich mich stark fühle. So, als könnte ich alles schaffen. In solchen Momenten gibt es diese Angst vor dem Versagen nicht, dann ist alles leicht und scheint machbar.

Und ich weiß auch, dass es vielen vielen meiner Kommilitonen ähnlich und sogar schlechter geht. Nicht wenige haben dann auch wirklich aufgegeben, um nicht komplett kaputt zu gehen. Und nicht wenige halten den Druck nur aus, indem sie die Sorgen mit Alkohol oder anderen Mittelchen betäuben. Sowas ist kein Geheimnis, aber kaum jemand spricht darüber. Genauso wenig wie über die hohe Selbstmordrate unter Medizinstudenten. Schließlich sind wir die „Akademiker von morgen, die neue Elite“, wie unser Professor ganz am Anfang zu uns sagte. Aber beginnt nicht genau da das Problem? Warum sollten wir uns anders verhalten, uns wichtiger fühlen als andere Studenten oder Leute mit Ausbildung? Das ist doch Schwachsinn und führt nur zu unberechtigter Überheblichkeit. Dabei haben wir doch genügend andere Probleme.
Außerdem wird uns Studenten auch von einigen Professoren vermittelt, wir wären sowieso nichts wert, wenn wir diese eine Frage nicht beantworten können. So was wie wir sollte gar nicht Arzt werden, es wären nur verschwendete Steuergelder, wenn wir weiterstudieren würden.

Solche Aussagen machen einen psychisch fertig. Zusätzlich zum eigenen Druck ist so etwas einfach nur Gift. Einige Kommilitonen haben eine diagnostizierte psychische Erkrankung entwickelt, ganz vorne weg Depressionen. Aber so etwas gilt ja nicht mal als Grund, um von einer Prüfung zurückzutreten.
„Wie bitte, sie lagen 3 Wochen im Bett und waren so am Ende ihrer Kräfte, dass sie nicht einen Satz lesen konnten? Sorry, aber psychische Erkrankungen sind keine unverschuldeten Zwischenfälle, Sie können nicht von der Prüfung zurück treten.“

Wollen wir also wirklich, dass die Studenten schon im Studium bis an den Rand des Aushaltbaren getrieben werden? Wollen wir wirklich Ärzte, die schon zu Berufsbeginn ausgebrannt sind?
Es muss sich etwas ändern und das möglichst schnell! Und Kommilitonen, die wutentbrannt vor dem Studienbüro auflaufen, um sich für eine Person einzusetzen, sind schon ein richtig guter Anfang!

Liebe Grüße,
Kaisa



PS: Ja, ich weiß, dass sowas nicht nur im Medizinstudium an der Tagesordnung ist, aber für mich ist es hier am Greifbarsten :)


Sonntag, 20. Januar 2019

Warum Medizinstudenten seltsam sind... Zum Thema Vorurteile


„Ach, du studierst Medizin? Da schneidet man doch an Leichen rum, oder?“

So, oder so ähnlich, reagieren ca. 80% der Leute, wenn ich ihnen erzähle, was ich mache. Dabei ist es vollkommen unerheblich, wie alt die Gesprächspartner sind.
Die anderen 20% bringen einem so Sätze wie „Ach, ich könnte das nicht! Das wäre mir viel zu eklig“ oder „Was? Und da verlässt du mehr als zwei Stunden das Haus? Musst du nicht lernen?“ entgegen.
Also, was ist dran an den Vorurteilen? Und warum zum Geier tut sich jemand freiwillig diesen Stress an?

Zu allererst: Ich wollte schon irgendwas mit Medizin machen, da konnte ich grade so selbst lesen. Kennt ihr diese „Wieso, Weshalb, Warum?“-Bücher? Die Ausgabe „Wir entdecken unseren Körper“ war sozusagen mein Schatz. Am Ende konnte ich das Teil fast auswendig.
Trotz jahrelanger Recherche und durchaus zeitaufwendiger Vorbereitung, inklusive Probestudium, ist die Realität dann doch etwas anders.
Ich, die in der Schulzeit so gut wie nie auf Tests lernen musste und auch meine Abiturvorbereitung auf ein paar Tage beschränkt hatte, stand erstmal vor einer großen Herausforderung: Wie schaffe ich es, mehrere Stunden am Stück zu lernen und wie kriege ich 300 Seiten Anatomieatlas innerhalb von 3 Wochen meinen Kopf?
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich das bis heute noch nicht ganz raus habe. Und so schlitterte ich von einer Wiederholungsprüfung in die nächste und jetzt habe ich tatsächlich auch einen 3. Versuch, also die letzte Chance vor der Exmatrikulation, vor mir. Ich könnte mich jedes Mal wieder in den Arsch treten, weil meist nur einzelne Punkte fehlen, die mit ein paar Minuten mehr Lernaufwand sicher zu bekommen wären. Aber hinterher ist man meistens schlauer und ich denke, dass ich auf einem ganz guten Weg bin.

Das Problem ist natürlich der innere Schweinehund, denn es zu überlisten gilt, grade, wenn die Prüfungsphase vor der Tür steht. Also, auf zu Vorurteil 1:

Medizinstudenten sind nur am Lernen

Ja und nein. Ja, gerade in der Vorklinik nimmt der Berg an Lernstoff immer mehr zu und es scheint einfach kein Ende in Sicht zu sein. Muskeln, Nerven, Gehirnwindungen reihen sich ein mit Stoffwechselwegen (inklusive Strukturformeln) und der Erklärung physiologischer Vorgänge.
Und ja, selbst unsere Profs sagen teilweise, dass man das einfach auswendig lernen muss und später wieder vergessen kann.
Ihr kennt ja bestimmt den Witz mit dem Telefonbuch… (Wer ihn nicht kennt, meldet sich einfach mal, ich teile den gerne mit euch) Das stimmt in Teilen wirklich. Aber oft muss man den Stoff auch einfach nur verstehen und dann kann man sich viel Arbeit ersparen.
Und nein, wir lernen nicht nur. Wir haben auch Freizeit, ob man es glaubt oder nicht. Viele von uns treiben Sport, machen Musik oder engagieren sich ehrenamtlich. Außerdem sind die Medizinerpartys legendär! Also, wir kommen auch mal vor die Tür und das nicht nur für den Weg in die Bibliothek.
Natürlich nimmt die Lernerei einen Großteil des Lebens ein. Aber man muss sich auch mal Pausen gönnen, sonst dreht man (noch mehr als sonst) am Rad!

So, weiter im Text. Was machen wir also, wenn wir nicht über Büchern brüten, sondern mal was Praktisches machen dürfen? Immerhin sollten wir nicht sofort und ohne Vorbereitung auf die Menschheit losgelassen werden. Also reden wir Klartext zum Thema:

Medizinstudenten schnippeln an Toten herum

Ja, ja und ja. Hier geht es um den Präparierkurs, dem ich demnächst einen eigenen Post widmen möchte, da mir diese Thema wirklich am Herzen liegt. Gerade im Hinblick auf die ethischen Bedenken. Wenn ihr dazu mehr wissen wollt, stay tuned!
Hier nur so viel: Wir haben das große Privileg, von unseren Körperspendern mehr über den menschlichen Körper lernen zu dürfen. Ja, dazu schneiden wir daran herum. Aber überlegt euch vielleicht das Eine, bevor ihr laut „Ihh, Bäh, Pfui“ schreit: Wäre es euch lieber, dass der Operateur bei der Blinddarm-OP bei euch zum ersten Mal einen Menschen von Innen sieht und dann erstmal ausprobieren muss, wie man da so schneidet und ups- den Nerv hätte er jetzt lieber ganz lassen sollen, aber na ja, es gibt ja für alles ein 1. Mal. Wer kann auch damit rechnen, dass das so schnell kaputt geht?

Dazu passt das letzte große Vorurteil, mit dem ich mich recht häufig konfrontiert sehe:

Medizinstudenten sind alle pervers, sonst könnten sie mit dem ganzen Ekelkram gar nicht umgehen

Mhm, wahrscheinlich stimmt das in gewisser Art und Weise sogar. Demnächst folgt ein Post zu meinem Pflegepraktikum und na ja, es gibt schon einiges an Flüssigkeiten, die aus so einem Körper raus kommen.
Am Ende gilt das aber für jeden, der im medizinischen Bereich oder auch sonst irgendwie mit Menschen arbeitet, man denke da nur an die Erzieher.
Klar, nicht jeder kann Blut sehen und das ist ja auch vollkommen okay. Aber im Allgemeinen ist das Studium nicht so aufsehenerregend eklig. Auch wenn so was natürlich immer im Auge des Betrachters liegt.

Am Ende muss natürlich jeder selbst entscheiden, ob einem so etwas liegt oder nicht. Ich persönlich liebe die Inhalte meines Studiums zum überwiegenden Teil und weiß ja auch, für welches Ziel ich das mache. Aber bei dir kann das ja wieder ganz anders sein.
Also, fragt lieber nach, bevor ihr euch ein vorschnelles Urteil bildet. Einiges stimmt zwar, aber oft ist das nicht ganz so schrecklich, wie es einem erzählt wird.

Liebe Grüße,
Kaisa!