Dienstag, 22. Januar 2019

Versagensangst und Druck


Versagensangst. Etwas, was ich vor meinem Studium nur vom Wort her kannte. Einen wirklichen Bezug dazu hatte ich aber nie.
Na ja, zumindest bis jetzt.

In der Schule war es so einfach: Ich musste kaum lernen, war Teil von so gut wie allen Arbeitsgemeinschaften und sonstigen außerschulischen Aktivitäten, immer ganz vorn dabei. Vermutlich habe ich bei der Abifeier einen Rekord darin aufgestellt, wie oft ein einzelner Name genannt werden kann.
Auch im Freundeskreis gab es so gut wie niemanden, der irgendwie Angst haben musste, das Abi nicht zu schaffen. Klar, ab und hakt es hier und da, aber am Ende konnte im Zweifel auch ein Schulwechsel helfen et voila, da war das Super-Abitur.
Alles ganz entspannt also. Tja, und dann kam die Uni.

Es fing ganz unschuldig an, der Stoff lag nur minimal oberhalb des Niveaus der Oberstufe. Nur Anatomie fiel da etwas heraus, aber ein paar Knochen auswendig lernen, das schafft man dann schon mal nebenbei. Und so plätscherte das erste Semester so vor sich hin. Zwar musste ich mehr lernen als vorher (oder überhaupt), aber es bewegte sich im kleinen Rahmen, im Zweifel reichte eine Woche Vorbereitung voll und ganz aus.
Bis, so gegen Semesterende, mit Physik das erste Mal nach einer Prüfung das „nicht bestanden“ auftauchte. Und ab dann ging es bergab.
Im zweiten Semester nahm ich fast alles an Wiederholungen mit, was nur ging. Und jetzt, ja jetzt ist da dieser drohende Drittversuch, der am Horizont wartet. Die letzte Prüfung vor dem Physikum könnte alles beenden.
Erstaunlicherweise haben mich diese Wiederholungen nie so wirklich belastet, vor allem am Anfang fand ich das mehr als erstaunlich. Schließlich war es etwas ganz Neues, irgendwo durchzufallen, also zu scheitern. Etwas, was mir in meinem bisherigen Leben nie begegnet war.

Ich bin Einzelkind und wurde bzw. werde stets von meiner ganzen Familie umsorgt. Ich bin wirklich wahnsinnig dankbar dafür. Vor allem, da auch jetzt, wo es ein wenig auf der Kippe steht, ob das mit dem Studium am Ende hinhaut, keinerlei Forderungen gestellt werden. Klar, es wird nach einem Plan B gefragt und ja, natürlich wünschen sich alle, dass es doch noch funktioniert. Aber am Ende würde ich vermutlich keinerlei Vorwürfe zu hören bekommen. Meine Leute stehen hinter mir und das ist einfach wahnsinnig großartig.

Trotzdem will ich auf gar keinen Fall jemanden enttäuschen, nicht meine Freunde, auf gar keinen Fall die Familie und auch nicht mich selbst. Denn am Ende habe ich ja auch einen gewissen Anspruch an mich, auch, wenn es nicht unbedingt die Bestnote in der Prüfung sein muss. Aber es würde mich richtig fertig machen, wenn ich endgültig durchfalle. Dann kann ich nie wieder in Deutschland Medizin studieren, der Traum vom Arzt sein wäre geplatzt.
Natürlich habe ich (nicht nur einen) Plan B. Wahrscheinlich würde ich auch damit am Schluss glücklich sein und es würde mich auch erfüllen. Aber es wäre trotz allem nur der Plan B.

Ich kann diese innere Stimme nicht ausschalten, die mir immer wieder einflüstert, dass ich scheitern werde. So was gehört denke ich auch dazu. Und an manchen Tagen, wenn sowieso alles schief läuft und man sich einfach nur im Bett verkriechen will, da wird diese Stimme lauter. Und dann fängt man wirklich an, an sich zu zweifeln. Nicht nur einmal habe ich mit dem Gedanken gespielt, doch alles hin zu schmeißen. Besser, als rauszufliegen. Besser, als sich das eigene Scheitern vor Augen führen zu müssen.
Dann kommt die Angst dazu: Was wird aus den Freundschaften, die man an der Uni geschlossen hat? Ich will das nicht aufgeben.
Was wird aus den ganzen Zukunftsplänen, die man geschmiedet hat? Ich habe so unendlich vielen Leuten erzählt, dass ich Landarzt werden möchte. So viele, die sich darauf freuen, mich dann wiederzusehen. So viele, die sich darauf verlassen, dass das funktioniert. Was würden sie von mir denken, wo ich doch immer erfolgreich mit meinen Plänen war?

Ich weiß, dass diese Gedanken Mist sind. Aber ab und an schleichen sie sich einfach an und erschrecken einen von hinten. Dann kann man sich nicht immer wehren und manchmal hilft es dann nur, sich mit einer heißen Schokolade im Bett zu verkriechen, eine Runde haltlos zu heulen und sich hinterher vom Schatz trösten zu lassen. Danach geht es besser.
Und inzwischen überwiegen auch die Momente, in denen ich mich stark fühle. So, als könnte ich alles schaffen. In solchen Momenten gibt es diese Angst vor dem Versagen nicht, dann ist alles leicht und scheint machbar.

Und ich weiß auch, dass es vielen vielen meiner Kommilitonen ähnlich und sogar schlechter geht. Nicht wenige haben dann auch wirklich aufgegeben, um nicht komplett kaputt zu gehen. Und nicht wenige halten den Druck nur aus, indem sie die Sorgen mit Alkohol oder anderen Mittelchen betäuben. Sowas ist kein Geheimnis, aber kaum jemand spricht darüber. Genauso wenig wie über die hohe Selbstmordrate unter Medizinstudenten. Schließlich sind wir die „Akademiker von morgen, die neue Elite“, wie unser Professor ganz am Anfang zu uns sagte. Aber beginnt nicht genau da das Problem? Warum sollten wir uns anders verhalten, uns wichtiger fühlen als andere Studenten oder Leute mit Ausbildung? Das ist doch Schwachsinn und führt nur zu unberechtigter Überheblichkeit. Dabei haben wir doch genügend andere Probleme.
Außerdem wird uns Studenten auch von einigen Professoren vermittelt, wir wären sowieso nichts wert, wenn wir diese eine Frage nicht beantworten können. So was wie wir sollte gar nicht Arzt werden, es wären nur verschwendete Steuergelder, wenn wir weiterstudieren würden.

Solche Aussagen machen einen psychisch fertig. Zusätzlich zum eigenen Druck ist so etwas einfach nur Gift. Einige Kommilitonen haben eine diagnostizierte psychische Erkrankung entwickelt, ganz vorne weg Depressionen. Aber so etwas gilt ja nicht mal als Grund, um von einer Prüfung zurückzutreten.
„Wie bitte, sie lagen 3 Wochen im Bett und waren so am Ende ihrer Kräfte, dass sie nicht einen Satz lesen konnten? Sorry, aber psychische Erkrankungen sind keine unverschuldeten Zwischenfälle, Sie können nicht von der Prüfung zurück treten.“

Wollen wir also wirklich, dass die Studenten schon im Studium bis an den Rand des Aushaltbaren getrieben werden? Wollen wir wirklich Ärzte, die schon zu Berufsbeginn ausgebrannt sind?
Es muss sich etwas ändern und das möglichst schnell! Und Kommilitonen, die wutentbrannt vor dem Studienbüro auflaufen, um sich für eine Person einzusetzen, sind schon ein richtig guter Anfang!

Liebe Grüße,
Kaisa



PS: Ja, ich weiß, dass sowas nicht nur im Medizinstudium an der Tagesordnung ist, aber für mich ist es hier am Greifbarsten :)


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