Versagensangst.
Etwas, was ich vor meinem Studium nur vom Wort her kannte. Einen wirklichen
Bezug dazu hatte ich aber nie.
Na ja,
zumindest bis jetzt.
In der
Schule war es so einfach: Ich musste kaum lernen, war Teil von so gut wie allen
Arbeitsgemeinschaften und sonstigen außerschulischen Aktivitäten, immer ganz
vorn dabei. Vermutlich habe ich bei der Abifeier einen Rekord darin
aufgestellt, wie oft ein einzelner Name genannt werden kann.
Auch im
Freundeskreis gab es so gut wie niemanden, der irgendwie Angst haben musste,
das Abi nicht zu schaffen. Klar, ab und hakt es hier und da, aber am Ende
konnte im Zweifel auch ein Schulwechsel helfen et voila, da war das
Super-Abitur.
Alles ganz
entspannt also. Tja, und dann kam die Uni.
Es fing ganz
unschuldig an, der Stoff lag nur minimal oberhalb des Niveaus der Oberstufe.
Nur Anatomie fiel da etwas heraus, aber ein paar Knochen auswendig lernen, das
schafft man dann schon mal nebenbei. Und so plätscherte das erste Semester so
vor sich hin. Zwar musste ich mehr lernen als vorher (oder überhaupt), aber es
bewegte sich im kleinen Rahmen, im Zweifel reichte eine Woche Vorbereitung voll
und ganz aus.
Bis, so
gegen Semesterende, mit Physik das erste Mal nach einer Prüfung das „nicht
bestanden“ auftauchte. Und ab dann ging es bergab.
Im zweiten
Semester nahm ich fast alles an Wiederholungen mit, was nur ging. Und jetzt, ja
jetzt ist da dieser drohende Drittversuch, der am Horizont wartet. Die letzte
Prüfung vor dem Physikum könnte alles beenden.
Erstaunlicherweise
haben mich diese Wiederholungen nie so wirklich belastet, vor allem am Anfang
fand ich das mehr als erstaunlich. Schließlich war es etwas ganz Neues, irgendwo
durchzufallen, also zu scheitern. Etwas, was mir in meinem bisherigen Leben nie
begegnet war.
Ich bin
Einzelkind und wurde bzw. werde stets von meiner ganzen Familie umsorgt. Ich
bin wirklich wahnsinnig dankbar dafür. Vor allem, da auch jetzt, wo es ein
wenig auf der Kippe steht, ob das mit dem Studium am Ende hinhaut, keinerlei
Forderungen gestellt werden. Klar, es wird nach einem Plan B gefragt und ja,
natürlich wünschen sich alle, dass es doch noch funktioniert. Aber am Ende
würde ich vermutlich keinerlei Vorwürfe zu hören bekommen. Meine Leute stehen
hinter mir und das ist einfach wahnsinnig großartig.
Trotzdem
will ich auf gar keinen Fall jemanden enttäuschen, nicht meine Freunde, auf gar
keinen Fall die Familie und auch nicht mich selbst. Denn am Ende habe ich ja
auch einen gewissen Anspruch an mich, auch, wenn es nicht unbedingt die
Bestnote in der Prüfung sein muss. Aber es würde mich richtig fertig machen,
wenn ich endgültig durchfalle. Dann kann ich nie wieder in Deutschland Medizin
studieren, der Traum vom Arzt sein wäre geplatzt.
Natürlich
habe ich (nicht nur einen) Plan B. Wahrscheinlich würde ich auch damit am
Schluss glücklich sein und es würde mich auch erfüllen. Aber es wäre trotz
allem nur der Plan B.
Ich kann diese
innere Stimme nicht ausschalten, die mir immer wieder einflüstert, dass ich
scheitern werde. So was gehört denke ich auch dazu. Und an manchen Tagen, wenn
sowieso alles schief läuft und man sich einfach nur im Bett verkriechen will,
da wird diese Stimme lauter. Und dann fängt man wirklich an, an sich zu
zweifeln. Nicht nur einmal habe ich mit dem Gedanken gespielt, doch alles hin
zu schmeißen. Besser, als rauszufliegen. Besser, als sich das eigene Scheitern
vor Augen führen zu müssen.
Dann kommt
die Angst dazu: Was wird aus den Freundschaften, die man an der Uni geschlossen
hat? Ich will das nicht aufgeben.
Was wird aus
den ganzen Zukunftsplänen, die man geschmiedet hat? Ich habe so unendlich
vielen Leuten erzählt, dass ich Landarzt werden möchte. So viele, die sich
darauf freuen, mich dann wiederzusehen. So viele, die sich darauf verlassen,
dass das funktioniert. Was würden sie von mir denken, wo ich doch immer
erfolgreich mit meinen Plänen war?
Ich weiß,
dass diese Gedanken Mist sind. Aber ab und an schleichen sie sich einfach an
und erschrecken einen von hinten. Dann kann man sich nicht immer wehren und
manchmal hilft es dann nur, sich mit einer heißen Schokolade im Bett zu
verkriechen, eine Runde haltlos zu heulen und sich hinterher vom Schatz trösten
zu lassen. Danach geht es besser.
Und
inzwischen überwiegen auch die Momente, in denen ich mich stark fühle. So, als
könnte ich alles schaffen. In solchen Momenten gibt es diese Angst vor dem
Versagen nicht, dann ist alles leicht und scheint machbar.
Und ich weiß
auch, dass es vielen vielen meiner Kommilitonen ähnlich und sogar schlechter
geht. Nicht wenige haben dann auch wirklich aufgegeben, um nicht komplett
kaputt zu gehen. Und nicht wenige halten den Druck nur aus, indem sie die
Sorgen mit Alkohol oder anderen Mittelchen betäuben. Sowas ist kein Geheimnis,
aber kaum jemand spricht darüber. Genauso wenig wie über die hohe
Selbstmordrate unter Medizinstudenten. Schließlich sind wir die „Akademiker von
morgen, die neue Elite“, wie unser Professor ganz am Anfang zu uns sagte. Aber
beginnt nicht genau da das Problem? Warum sollten wir uns anders verhalten, uns
wichtiger fühlen als andere Studenten oder Leute mit Ausbildung? Das ist doch
Schwachsinn und führt nur zu unberechtigter Überheblichkeit. Dabei haben wir
doch genügend andere Probleme.
Außerdem
wird uns Studenten auch von einigen Professoren vermittelt, wir wären sowieso
nichts wert, wenn wir diese eine Frage nicht beantworten können. So was wie wir
sollte gar nicht Arzt werden, es wären nur verschwendete Steuergelder, wenn wir
weiterstudieren würden.
Solche
Aussagen machen einen psychisch fertig. Zusätzlich zum eigenen Druck ist so
etwas einfach nur Gift. Einige Kommilitonen haben eine diagnostizierte
psychische Erkrankung entwickelt, ganz vorne weg Depressionen. Aber so etwas
gilt ja nicht mal als Grund, um von einer Prüfung zurückzutreten.
„Wie bitte,
sie lagen 3 Wochen im Bett und waren so am Ende ihrer Kräfte, dass sie nicht
einen Satz lesen konnten? Sorry, aber psychische Erkrankungen sind keine
unverschuldeten Zwischenfälle, Sie können nicht von der Prüfung zurück treten.“
Wollen wir
also wirklich, dass die Studenten schon im Studium bis an den Rand des
Aushaltbaren getrieben werden? Wollen wir wirklich Ärzte, die schon zu
Berufsbeginn ausgebrannt sind?
Es muss sich
etwas ändern und das möglichst schnell! Und Kommilitonen, die wutentbrannt vor
dem Studienbüro auflaufen, um sich für eine Person einzusetzen, sind schon ein
richtig guter Anfang!
Liebe Grüße,
Kaisa
PS: Ja, ich weiß, dass sowas nicht nur im Medizinstudium an der Tagesordnung ist, aber für mich ist es hier am Greifbarsten :)
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